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Dem Gewaltjournalismus etwas entgegenstellen by Johan Galtung Autoren: Hans-Peter Lerjen & Claudia Ackermann (Radio Lora, Zürich) “Mr. Bush, was ist das Anliegen der Al Kaida? Welche Alternativen sehen Sie zum Krieg?” Ein Interview mit Johan Galtung vom 3. Juli 2004 Was ist das Charakteristikum von Friedensjournalismus? Der Friedensjournalismus führt eine Diskursänderung herbei. Dies bedeutet, über eine Sachlage anders zu sprechen, weil die Medien eine fundierte, lösungsorientierte Darstellung der Konflikte liefern. Wichtig ist dabei nicht, dass alle Lösungen gut sein müssen, sondern dass darüber geschrieben wird. Zum einen wählt man als Interviewobjekte gezielt PolitikerInnen und Generäle und besteht auf einer Analyse. Dies beginnt mit zwei Fragestellungen. Der Journalist fragt einen Politiker: „Wir haben Gewalt gesehen, was ist der grundlegende Konflikt? Und zweitens: Gibt es eine Lösung des Konfliktes?“ Die GesprächspartnerInnen werden damit gezwungen, Analysen abzugeben und Maßnahmen zu nennen statt einfach zu sagen, Gewalttäter seien böse und auszuschalten. Da fängt es an. Der Friedensjournalismus erhöht die Kompetenz der Akteure. Auf der anderen Seite dreht man ein heute geltendes Prinzip der Berichterstattung um, und schreibt mehr über Frieden und weniger über Krieg. Machen wir ein Beispiel mit Israel/Palästina. Wir haben einen Suizidbomber in Palästina und man schreibt darüber. Seine Familie ist vielleicht in einer gewissen Weise stolz darauf, dass ihr Sohn auf der ersten Seite der Zeitung ist. Dann kommt der israelische Pilot mit einer F16 und in der Zeitung ist nachzulesen, dass er das Haus eines Terroristen zerstört hat. In diesem Sinne ist man also einen Tag lang berühmt, Publizität wirkt wie eine Belohnung, der öffentliche Raum wird mit einer Bluttat und deren Logik besetzt. Dann gibt’s je ein Paar auf der israelischen und der palästinensischen Seite, welche ihre Kinder verloren haben. Und diese reichen sich die Hand, gründen ein Komitee und dann eine Organisation, um den Krieg zu stoppen. Eine kleine Notiz in der Zeitung. Wenn jeden Tag so ein Vorgang auf der ersten Seite der Zeitung nachzulesen wäre und die Selbstmordattentate und die Todesbomben –sagen wir – auf der Seite der Todesanzeigen erschiene, hätte das eine Wirkung auf die LeserInnen. Wie kann Friedensjournalismus etwas bewirken? Ein Beispiel: der elfte September. Die amerikanerische Analyse existiert nicht. Es bestehe ein Konflikt zwischen Böse und Gut, wobei es darum gehe, böse Elemente dieser Welt auszuradieren. Aber so einfach ist es nicht. Es gibt 1.3 Milliarden Muslime, die solidarisch reagieren, wenn sie das Gefühl haben, auf ihnen werde herumgetrampelt. Man könnte fragen: was wünscht Washington? Nehmen wir an, am wichtigsten sei ihnen Freihandel, Neoliberalismus und freie Wahl. Was wünschen die Wahabiten? Sie wünschen mehr Respekt für ihre Religion. Beide Parteien könnten sich finden, indem der Freihandel aus Respekt zurückgenommen und die Einschränkung der Frauen als Entgegenkommen an westliche Werte aufgeweicht würde. Daraus würde eine Dialog der Zivilisationen entstehen. Man könnte fragen: was wünscht Washington? Nehmen wir an, am wichtigsten sei ihnen Freihandel, Neoliberalismus und freie Wahlen. Und was wünschen die Islamisten? Sie begehren mehr Respekt für ihre Religion. Beide Parteien könnten sich finden, indem der Freihandel zurückgenommen und die Diskriminierung der Frauen als Entgegenkommen an westliche Werte aufgeweicht würde. So könnte eine Dialog der Zivilisationen entstehen. Dieser hat aber noch nicht begonnen, unter anderem, weil die Gewalt in den Massenmedien einen enorm starken Stellenwert hat. Die Presse berichtetet jeden Tag darüber, wo welche Explosion stattgefunden hat und wie viele Truppen wo stationiert sind. Ich sage nicht, dass darüber nicht geschrieben werden soll, sondern nur, dass mehr über Friedensaktionen geschrieben werden soll. Dieser hat aber noch nicht begonnen, unter anderem, weil wir keinen Friedens-, sondern nur Gewaltjournalismus haben. Dieser berichtet jeden Tag darüber, wo welche Explosion stattgefunden hat und wie viele Truppen wo stationiert sind. Wir sagen selbstverständlich nicht, dass darüber nicht geschrieben werden soll, sondern nur, dass auch über Friedensaktionen geschrieben werden soll. Anderes Beispiel: Die Friedensbewegung während des letzten Irakkrieges. Sie trat nur für einen negativen Frieden ein und hatte keine Vorstellung von einem positiven Frieden. Leider muss ich sagen, dass ich von der Friedensbewegung sehr enttäuscht bin. Es gab keine Konfliktanalyse, eine Was-können-Wir-Tun-Analyse. Es erhob sich Kritik gegen die Gewalt, welche notwendig, aber nicht hinreichend ist. Und deswegen hat sie auch sehr wenig Wirkung. Ich kenne viele Politiker und weiß, dass sie ganz früh eine Elefantenhaut entwickeln, weil es ihnen sonst kaum möglich wäre zu überleben. Wovor sie Angst haben, ist nicht die Kritik, sondern dass irgend jemand einen Plan B hat und dass dieser Plan B besser als ihrer ist. Und dass die Leute sagen «Dieser Plan B ist interessant, wieso können wir ihn nicht weiterentwickeln». Davon kommt von der Friedensbewegung nichts. Ich möchte dazu noch etwas sagen: die Friedensbewegung organisiert Demonstrationen «gegen», also gegen Krieg, aber auch gegen gewisse Politiker. Alles einfach zu verstehen, aber wenn es dann Politiker gibt, die genau das tun, was die Friedensbewegung wünscht, wie der Spanier Zapatero... Am selben Sonntag als er gewählt wurde, hat er gesagt, ich ziehe die Truppen aus dem Irak heraus, aber es gab keine Demonstration um zu sagen: „José Luis Zapatero, danke! Wir sind begeistert!” Politiker sind Menschen und wollen auch gerne belohnt werden. Hat der Friedenjournalismus einen Markt? Das wird ja von den Medienwissenschaften angezweifelt. Das ist eine Redaktorenfrage: Was geschieht, wenn der Journalist und besonders die Journalistin etwas geschrieben hat? Mein vereinfachtes Bild ist jenes des Nachtredaktors, der so gegen fünf Uhr nachmittags mit rotem Stift kommt, um alles in - seiner Meinung nach - Verkaufbares umzuschreiben. Ich glaube, er irrt sich: Es könnte sein, dass einige gewaltorientierte Männer weniger kaufen würden, wenn ihnen zuviel über Lösungen geschrieben wird, aber bestimmt nicht Frauen und bestimmt nicht die jüngeren und älteren Generationen. Ihr Leseverhalten ist ganz unterschiedlich. Ich gebe ein Beispiel: Als im August 1993 sehr viel über den Oslo-Prozess zu lesen war, entfachte dies eine Begeisterung und die Leute haben wie Trolle Zeitungen gekauft, um etwas Optimistisches zu lesen. Die Sensation verkauft, und die Sensation könnte auch positiv sein. Wie kann ich als KonsumentIn die Medien in Richtung Friedensjournalismus lenken? Sie können es verlangen, aber das ist schwierig, weil Journalismus eigentlich eine Einbahnstrasse ist, in dem Sinne, dass der Journalist kommuniziert, aber Gegenkommunikation selten über die Form von Leserbriefen hinausgeht. In den Zeitungen werden zwar öffentliche Debatten geführt, aber kaum solche mit JournalistInnen über Journalismus. Die LeserInnen könnten in Briefen besseren, weniger einseitigen Journalismus verlangen. Dieser beinhaltet auch die Darstellung einer Kausalkette, welche alles offenlegt und es den LeserInnen überläßt, ihre Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Um den 11.September als Beispiel zu nehmen: Dieser hat ja offensichtlich auch mit dem amerikanischen Staatsterrorismus zu tun. Wer so viele Menschen tötet, wie dies Washington getan hat, fordert eine Gegenreaktion heraus. Und damit habe ich nicht gesagt, dass diese (in ihrer Ausgestaltung) gerechtfertigt ist. Ich sage nur, man kann es so erklären. Es ist die Aufgabe des Journalismus, diese Kausalkette aufzuzeigen. Das hat der westliche Mainstream-Journalismus nicht geschafft, er hat sie tabuisiert. Er verdient eine sehr schlechte Note für seine Leistung nach dem 11.September. Was sind die schlimmsten Effekte des Kriegsjournalismus? Erstens: dass viele glauben, es gebe keine andere Möglichkeit als Gegengewalt. Es gebe keinen unterschwelligen Konflikt, keine Lösungen. Zweitens: dass man in einen Teufelskreis gerät, weil der Gewaltsjournalismus Gewalt belohnt: Die Gewalttätigen lesen das und sehen die Möglichkeit, für einen Tag berühmt zu sein. Und drittens kappt man die Rationalität ab: man sieht die Gewalt als etwas, was –theologisch sagt man “causa sui”- seine eigene Ursache, nicht fremdverursacht ist. Die Kausalkette ist nicht vorhanden, also auch keine Rationalität. Und man endet genau wie die Amerikaner in prämodernen Schwarz-Weiss-Formeln. Damit geht die Gewalt weiter. Man könnte sagen: irgendwo sitzt die Gewalt in Person und ist über Gewaltjournalismus begeistert: “Davon lebe ich!”. Es gibt viele europäische Journalisten, welche sagen: Herr Galtung, was sie unter Friedensjournalismus verstehen, ist einfach guter Journalismus. Ich bin einverstanden. Wir verlangen, dass wir bei Berichten über Verkehrsunfälle die Kausalkette nachvollziehen können, so dass wir ähnliches in Zukunft vermeiden können. Auf der persönlichen wie der gesellschaftlichen Ebene. Warum sollte das bei so gewichtigen Themen wie dem Irakkrieg anders sein? Welche Fähigkeiten muß ein Friedensjournalist haben? Vier Dinge erscheinen mir wichtig. Einer meiner Lieblingsjournalisten ist Robert Fisk. Er betreibt Detektivarbeit, um zu verstehen, was vor sich geht. Seine Arbeit kennt keine Grenzen, genau wie ein Kriminalpolizeibeamter untersucht er alles gründlich. Zweitens braucht es tiefe Kenntnisse des Kontextes, also der Geschichte und der Umstände in der Gesellschaft, welche die Lage produziert hat. Gleichzeitig muss man Konfliktanalyse betreiben können, und das ist ganz einfach. Welches sind die Akteure und welche Zielsetzungen haben sie? Also: «Herr Präsident, was strebt die andere Seite eigentlich an?» Und viertens: Eine gewisse Gewandtheit und Phantasie beim Aufspüren von Lösungsvarianten. Was könnte hier eigentlich eintreffen außer einem Krieg? Im Irak wäre es nützlich, in Föderalismus bewandert zu sein, weil das offenbar eine sehr wichtige Möglichkeit für den Irak ist. (Gekürzte Fassung ist im September 2004 in der „Fabrikzeitung“ erschienen: Claudia Ackermann & Hans-Peter Lerjen: "Friedensforschung. dem Gewaltjournalismus etwas entgegen stellen". Fabrikzeitung. Zeitung aus der roten Fabrik. Ausgabe Nr. 204. September 2004(ex. 4500). page 14.) ![]() |