(Deutsch) Peacebuilding von unten im Südsudan

ORIGINAL LANGUAGES, 22 Dec 2014

Stephan Brües, Zivilcourage – TRANSCEND Media Service

Hoffnungsvolle Ansätze im jüngsten Staat der Erde

Er ist das jüngste Land der Welt: Nach dem Friedensabkommen mit dem Sudan 2005, das ihm zunächst eine Autonomie mit eigener Präsidentschaft bescherte, hat sich der Südsudan nach einem Referendum im Januar 2011 endgültig vom Sudan abgespalten und ist nun unabhängig. Ein Land von der Fläche Frankreichs und der BeneluxLänder mit vermutlich etwa 11 Millionen Einwohnern ist entstanden, eine dezentralisierte Bundesrepublik mit zehn Bundesstaaten (Central-, Eastern- und Western Equatoria, Jonglei, Northern-, Western Bahr el Ghal, Uiity/Western Upper Nile, Uper Nile, Warrap und Lake).

Der Südsudan ist eines der ärmsten Länder der Welt mit 60 ethnischen Gruppen, kaum Infrastruktur und einer Analphabetenrate von 73 Prozent der über 15-Jährigen. Zugleich ein Land mit großen Erdölvorkommen, dessen Einnahmen laut Weltbank ausreichen würden, um die Armut im Land zu bekämpfen. Chance für die Zukunft oder Fluch?

Aktuell scheint es eher nach Fluch auszusehen. Innerhalb der Guerilla namens Sudanese People’s Liberation Army (SPLA), die Jahrzehnte lang gegen die mehrheitlich muslimische sudanesische Regierung kämpfte, brach ein Kampf zwischen Präsident Salva Kiir Mayardit und dem langjährigen Vizepräsidenten Riek Machar aus. Es geht um politische Macht, vor allem aber um die Kontrolle über die Ressourcen: Erdöl, Gold, Kupfer und andere Mineralien. Durch die Zugehörigkeit der beiden Protagonisten und der mit ihnen verbundenen regionalen Militärbefehlshaber wurde der politische und wirtschaftliche Konflikt zu einem ethnischen. Kiir ist Dinka, Machar ist Nuer. Die Nuer stellten nach Angaben von Moses Monday John, Direktor der Organisation for Nonviolence and Democracy (Onad) 65 Prozent der regulären Militärtruppen, die nach der Unabhängigkeit aus der SPLA entstanden. Als Machar abgesetzt wurde, da er angeblich einen Putsch versucht hatte, erklärten sich viele von diesen Truppenangehörigen solidarisch mit Machar. Bundesstaaten wie Jonglei und Unity werden teilweise von Rebellen kontrolliert. Tausende Menschen starben, mehrere Tausend flohen.

Die UN-Mission für Südsudan (Unmiss) hält Lager für Vertriebene bereit, die Zahl von Blauhelmen soll auf 5500 erhöht, auch UN-Polizeitruppen sollen verstärkt werden. Die Afrikanische Union hat mit Unterstützung des US-Außenministers John Kerry Gespräche zwischen Kiir und Machar in Addis Abeba vermittelt. Aktuell – so berichtet Monday John – wurde am 9. Mai ein Friedensfahrplan zwischen den beiden vereinbart, der am 9. Juni konkretisiert wurde: In 60 Tagen soll eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden. Und die Zivilgesellschaft Südsudans soll in diesen Prozess einbezogen werden.
Südsudanesische Zivilgesellschaft?

Ja, es gibt sie. Sie kämpft für Frieden und Demokratie und sie ist vergleichsweise gut organisiert und vernetzt mit den zahlreichen amerikanischen und europäischen Entwicklungshilfeorganisationen in Juba. Zu ihr gehört neben der Initiative for Promotion of Civil Society (IPCS) oder den Citizens for Peace and Justice auch die Organisation Onad, die Monday John vertritt. Sie wurde 1994 in Khartoum von südsudanesischen Studenten gegründet, die vor den Kämpfen im Süden geflohen waren, aber deren Anliegen nicht gehört worden waren. Sie trafen sich im Umfeld der Katholischen Kirche. “Die Gründer hatten sicher einen stark christlichen Hintergrund”, sagt Mamoun Abdallah, Direktor der Sudanese Organisation for Nonviolence and Democracy (Sonad). Aber die Organisation ist überkonfessionell und will ethnische Spannungen überwinden und die zahlreichen lokalen und regionalen Konflikte im Land mit gewaltfreien Methoden bearbeiten. Sie arbeitet weiterhin in Khartoum und anderen Teilen des Sudans, macht Trainings in Gewaltfreiheit, gerade auch für Dorfchefs, lokale Führer und Frauen, fördert die demokratische Partizipation in Dörfern und Städten und vermittelt in Konflikten, vor allem zwischen Bauern- und Viehzüchter-Gesellschaften. Sie hat Menschenrechtsgruppen gegründet und Informationen gesammelt, auch über die Situation in Darfur. Es gab Zeiten der Repression, in denen sie ihre Arbeit zeitweise einstellte. Sonad wurde in ihrer Arbeit auch von deutschen Friensfachkräften unterstützt, im nördlichen und im südlichen Teil des Sudans.

Seit der Unabhängigkeit des Südsudans 2011 hat sich Onad von Sonad abgespalten, als Schwesterorganisation im neuen Staat sozusagen. Ähnlich wie auch Sonad arbeitet Onad in vier Programmen. Neben einem zur internen Organisationsentwicklung sind dies Gewaltfreiheit und Friedensaufbau, Governance und Volksbildung sowie Gemeindeentwicklung und Gender. Was wie ein Katalog aktueller entwicklungspolitischer Ansätze aussieht, ist jedoch beileibe nicht nur ein Import westlicher Entwicklung. Vielmehr versucht Onad – wie Monday John betont -, afrikanische Formen der lokalen Demokratie (Stichwort: Dorfpalaver) zum Nutzen der Gemeinde und einer aktiven Teilhabe der Menschen anzuwenden. Dazu nutzt sie die sog. “Townhall-style meetings” (etwa: Versammlung im Stil von Stadtratssitzungen), bei denen neben gewählten Vertretern auch Jugendgruppen, Frauenorganisationen, Vertreter höherer politischer Instanzen oder lokale Parlamentsabgeordnete in einen Dialog treten, um die Gemeinde durch Aktionspläne und die Zuweisung klarer Zuständigkeiten voranzubringen.

Es gibt auch Projekte für eine “Schule für Demokratie”, wo den Schülern u.a. gewaltfreie Streitschlichtung beigebracht werden soll.

Ein weiterer Fokus liegt auf der Förderung der Frauen. Auch sie nehmen an Workshops zur Gewaltfreiheit teil, hier befindet sich aber der Schwerpunkt auf der sog. “gender-based-violence”, die durch die Kriege in der Regel verstärkt wird. Frauen litten stark darunter, sagt die Onad-Trainerin Suuan Wasuk Felix. Sie leiden aber auch an rechtlichen Einschränkungen im Justizwesen oder an der frühen Verheiratung (50 Prozent der 15- bis 19-jährigen Südsudanesinnen sind verheiratet worden). Onad stärkt Frauen bei der Verteidigung ihrer Rechte und ihrer wirtschaftlichen und politischen Teilhabe.

Die Situation der Jugend war ja bereits Ausgangspunkt für die Gründung von (S) Onad. “Jugendliche haben im Bürgerkrieg die Soldaten gestellt”, sagt Monday John, aber sie hätten diese Kämpfe nicht angezettelt. Viele sind traumatisiert. Wenn sie nicht gerade ihren Eltern auf dem Feld oder bei den Herden helfen, haben sie häufig nichts zu tun. Posttraumatische Belastungsstörungen und mangelnde Perspektiven führten dann manche bei geringen Anlässen dazu, Gewaltaktionen gegen andere zu begehen und Konflikte um Vieh oder auch Mädchen zu eskalieren. Hier setzt Onad mit Trainings zur Gewaltfreiheit für ausgesuchte Jugendliche an, bei denen Mechanismen gelernt werden, um die vorhandenen Konflikte ohne Gewalt zu lösen. So erklärte ein Teilnehmer eines Workshops über Gewaltfreiheit und Traumaheilung, dass er im Jahre 2011 als ein Jugendführer in Yirol West und Mvolo (Bundesstaat Lakes) Personen anderer ethnischer Gruppen getötet hatte. Er war im Gefängnis, stand in Gefahr, hingerichtet zu werden, wurde jedoch amnestiert. Inzwischen hat er seine Waffe abgegeben und will für Frieden eintreten und sein Vieh ohne Waffen verteidigen. Er spricht dabei aus, was wohl viele Menschen über Gewaltfreiheit denken: “Normalerweise schätzen wenige Menschen Gewaltfreiheit a priori, andere zweifeln daran, ob sie in unserer militarisierten und gewaltsamen Gesellschaft funktionieren kann. Schließlich meinen andere, dass sie in weniger gewaltsamen Gesellschaften sicher funktioniert, aber nicht im Südsudan.”

Es ist noch nicht ausgemacht, wie sich der Südsudan entwickeln wird. Es scheint jedoch einige Menschen zu geben, die friedliche Wege zu gehen bereit sind – sowohl im Südsudan selbst wie auch im Umfeld, seien sie von der UN und ihren Organisationen, von der Afrikanischen Union oder auch von internationalen Friedensorganisationen wie die Nonviolent Peaceforce, die als unbewaffnete Peacekeeper Menschen schützen, damit diese solche Arbeiten verrichten können wie es Onad tut. Oder einfach, um zu leben, wie der Überfall auf ein Lager der Unmiss im April diesen Jahres zeigte: Bewaffnete fielen in dem Camp ein und töteten 50 Menschen, die meisten Angehörige der Nuer. In einem Zelt waren zwei Friedensfachkräfte mit insgesamt zwölf Frauen und Kindern. Die Bewaffneten forderten die beiden auf, das Zelt zu verlassen. Sie weigerten sich und sagten, sie seien humanitäre Helfer und diese Frauen und Kinder seien unschuldig und hätten nichts mit dem Konflikt zu tun. Sie würden bei ihnen bleiben, geschehe was wolle. Die Bewaffneten zogen ab. Zwölf Menschenleben wurden gerettet – aufgrund dessen, dass keine Waffen zu deren Schutz vorhanden waren.

Vielleicht würde es all diese Menschen stärken und die kriegerischen schwächen, wenn nicht nur – wie sie oft – über die kriegerischen Handlungen, die wie eine Naturgewalt über das Land hineinzubrechen scheinen, berichtet werden würde, sondern auch über jene, die für eine friedliche Entwicklung des jüngsten Staates der Erde arbeiten. Es sind mehr als wir denken, aber längst nicht genügend.

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Stephan Brües ist ZivilCourage-Redakteur und Vorsitzender des Bundes für Soziale Verteidigung (BSV).

Originally published in “ZivilCourage Nr. 4 – November 2014 Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK”.

Submitted by TRANSCEND member Benno Fuchs.

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